Bailey

Kurgestütler-Stute, *2004

Ich mag den Begriff ‚Problempferd‘ nicht. Analog dazu müsste es auch ‚Problemmenschen‘ geben, aber so bezeichnet man ja niemanden, der ein Problem mit etwas hat.

Yvonne Gutsche

Bailey kam zu mir, als sie sechs Jahre alt war und galt als ein gefährliches und unreitbares Pony. Weil die Besitzer nicht mir ihr klarkamen, sollte Bailey zum Schlachter. Glücklicherweise habe ich die Stute rechtzeitig vorher kennengelernt. Die Besitzer haben sie mir geschenkt, aber ich musste alle Haftungsansprüche abtreten.

Bailey bekam von mir zunächst einen kompletten Time-Out auf der Weide. Während ihre Weidekumpels stets fröhlich zu mir kamen, wenn ich die Pferde auf der Koppel besuchte, zeigte Bailey überhaupt kein Interesse an mir. Für mich war das in Ordnung. Wer weiß, was die Stute schon alles durchgemacht hatte. Ich wollte ihr alle Zeit der Welt geben, um sich zu erholen. Doch irgendwann kam der Tag der Tage: Bailey interessierte sich für mich. Sie kam zu mir, schnupperte an meinen Händen und blieb neben mir stehen. Ich sage Euch, das war ein richtig toller und emotionaler Moment für mich. Ich war so glücklich und dankbar. Das erste zarte Vertrauensband war geknüpft!

Beim Training mit schwierigen Pferden fuhr ich schon damals am besten mit der Strategie „If you have a problem with a horse, go back to the roots“. Also startete ich das Gelassenheitstraining mit Bailey am Boden. Ich fing mit Bailey an wie mit einem Jungpferd, das noch gar nichts kennt und kann. Durch das Training bauten wir eine richtig gute Beziehung zueinander auf. Bailey wurde darüber hinaus immer mutiger und sehr viel entspannter. Ich glaube, sie spürte, dass ich auf sie aufpasste.

Irgendwann verlagerten wir das Gelassenheitstraining in den Sattel. Das Thema Rittigkeit ließ ich aber zunächst komplett außen vor. Ich wollte das „unreitbare“ Pony nicht reizen. Erst später tastete ich mich auch an dieses Thema ran.

Heute ist Bailey mein absolutes Verlasspferd und eine mega treue Partnerin an meiner Seite. Mit ihr reite ich Stuntshows, die ich beispielsweise auf Veranstaltungen wie der Gala-Show „Nacht der Pferde“ bei der Pferd & Jagd oder auch bei der Gala-Show der Eurocheval zeige. Bailey lässt sich nämlich mittlerweile nicht nur super gut reiten, sie ist ein richtiges Stunt-Pony geworden. Ohne mit der Wimper zu zucken kraxelt sie über meine Hängebrücke, geht über meine große Wippe und galoppiert auf einen fahrenden Pferdeanhänger.

Unsere Partnerschaft geht sogar so weit, dass wir bei den Shows ein Wechselspiel der Kompetenzen haben. Das bedeutet: Ich gebe die Route durch den Stunt-Parcours vor, bei den Stunts selbst verlasse ich mich aber fast komplett auf Bailey. Sie darf entscheiden, wie schnell sie beispielsweise auf die Wippe geht. Nur seitlich begrenze ich bei Bedarf mit meinen Beinen – aus Sicherheitsgründen, damit sie nicht auf der Wippe einen Schritt seitlich ins Leere macht. Weder von den Stunts, vom Scheinwerferlicht noch von mehreren tausend Zuschauern lässt sich Bailey aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil: Sie liebt es, im Mittelpunkt zu stehen. Für sie können die Zuschauer gar nicht laut genug klatschen. Das ist richtig lustig zu beobachten und macht mich sehr stolz.

Bailey ist einfach unglaublich! Und ich denke, letztendlich ist sie auch ein sehr gutes Beispiel, was aus sogenannten „Problempferden“ werden kann, wenn man sie im Training richtig abholt und auf sie gefühlvoll eingeht.